Kurz vor sechs, der Handywecker schnurrt. Mein Körper fühlt sich schwer an, im Zimmer ist es noch dunkel. Zwanzig Leute liegen hier in Doppelstockbetten, die Fenster waren über Nacht zu. Mein Mund ist trocken von der stickigen Luft und ich taste blind nach meiner Wasserflasche. Ich stoße gegen sie und schubse sie unbeabsichtigt aus dem Bett. Ich liebe oben, sie saust hinab und schlägt auf dem Boden auf.

Ups. Guten Morgen, alle schon wach?

Ich schäle mich aus meinem Schlafsack und merke, dass andere Pilger schon dabei sind ihre Sachen zu packen. So langsam öffnen sich meine Ohren und ich fange an die Geräusche nach und nach Wahrzunehmen. Einer verpackt seine Sachen in Plastiktüten und das raschelt wie sau. Boah, ey, muss das sein?

Wie in Zeitlupe bewege ich mich aus dem Bett, gleite wie ein Aal die Leiter hinunter und das letzte Stück springe ich übermutig herunter. Aua. Hallo Beine, schön dass ihr da seid. Ich spüre jeden Muskel und strecke meinen Körper erst einmal durch. Uiuiui, das Tragen des Rucksacks hat seine Spuren hinterlassen. Mein Rücken ist total verspannt und auf der Hüfte habe ich leichte Druckspuren.

So, erst einmal auf Toilette gehen, längst überfällig, meine Blase ist kurz vorm Platzen. Eine Mischung aus Faulheit und Bequemlichkeit hat dafür gesorgt, dass ich mich in der Nacht mich nicht aus meinem „SchlafsackundobenimBettliegen“ herausgebracht habe.

Dann noch Gesicht waschen, Zähne putzen, anziehen, Sachen packen, Frühstück und los geht’s.

Schritt für Schritt, immer den gelben Pfeilen nach.

Noch ist es angenehm kühl, doch sobald die Sonne herauskommt, wird es zunehmend wärmer. Dann heißt es eincremen und öfters mal Rast machen. Andere trinken hier Café con leche (Kaffee mit Milch) intravenös, ich inhaliere an jeder zweiten Station frisch gepressten Orangensaft. Und immer wieder gibt es überall nur Weißbrot. Ich kann es langsam nicht mehr sehen. Also sehen schon, aber mein Körper fragt mich, was er damit soll. Es macht ihn nicht satt. „Können wir nicht mal was anständiges zum Kauen und Verdauen haben?“ Tsja, nicht so einfach hier in Spanien. Salat, Tortilla, Kartoffeln. Na, immerhin.

Zeit für eine Mittagspause. Die Schuhe mal aufschnüren, entlüften und die warmen Socken in der Sonne trocknen. Orangensaft. Aaaaah, das tut gut.

Unglaublich viele nette Menschen treffe ich auf dem Weg.

Wo bist du heute gestartet?

Ah. Und wo bist du losgelaufen?

Wie weit gehst du heute?

Hast du schon was zum Übernachten?

Wie schwer ist dein Rucksack?

Bist du alleine unterwegs?

Wie läufts bei dir?

Warum bist du hier?

Das ist so das Standardfrageportfolio und auch wenn ich dieser Fragen müde wurde, war ich doch immer an den Antworten interessiert.

So, genug Pause gemacht, weiter geht’s. Eben noch einen Stempel in den Pilgerausweis für die Compostella abholen, Rucksack aufschnallen und „Buen Camino“ wünschen, weiter geht’s.

Es ist früher Nachmittag und ich sehe schon die kleine Stadt, das Ziel für heute, aus der Ferne. Ah, fast da, meine Füße freuen sich darauf, mein Magen auch. Sechs Stunden gelaufen heute, das reicht.

Vorher aber noch die Gelegenheit nutzen, Schuhe und Socken ausziehen und rein in den kalten Bach. Yes!

Wie wohltutend und energetisierend diese kleinen Pausen sind. Ob ich das zu Hause auch mal machen sollte?

Rein in die Herberge, holla, buen Camino. Ah, das ist mein Bett. Nur zehn Leute in einem Zimmer, wow, da gibt’s dann hoffentlich nicht so viele Schnarcher. Yippieh!

Schlafsack aufs Bett, ab unter die Dusche und frische Klamotten an. Keine Waschmaschine hier, also Handwäsche vom heutigen T-Shirt und Unterhose. Ruckzuck unter kaltem Wasser und mit Rei in der Tube erledigt. Ab damit auf den Wäscheständer.

Ah, hier sind ja Leute, die ich heute schon mal gesehen habe. Ich habe das Gefühl wir kennen uns schon länger, ich bin froh, bekannte Gesichter zu sehen. How are you? Fine, fine, thank you. And you?

Erstmal was trinken und obwohl es erst vier Uhr ist, könnte ich doch mal ein Nickerchen machen …

Eine Stunde später, ich komme kaum aus dem Bett. Ich kann doch nicht jetzt schon schlafen gehen? Mein Körper sagt ja, mein Kopf sagt nein.

Also raus aus dem Bett und ab in den Schatten.

2014

2016

2017

2018

Heute morgen war sie da, die Frage: Warum tue ich mir das eigentlich an? Jeden Tag diese Strapazen. Warum liege ich nicht gemütlich zu Hause auf meiner Emma-Matratze?

Doch jetzt, am „Abend“, weiß ich warum.

Ich spüre meinen Körper. Ich atme die frische Luft. Ich bin einfach da wo ich bin. Ich sehe die Menschen, die genauso erschöpft und glücklich sind wie ich.

Hier sitzen wir alle eindeutig im gleichen Boot. Wir alle haben das gleiche Ziel, gehen den gleichen Weg und alle sind wir prinzipiell auf uns und unseren Körper gestellt. Ich trage meine Last und du trägst deine. Du bist für dich Verantwortlich und ich für mich. Die Trennungen sind so klar, dass es viel einfach ist, bei mir zu bleiben.

Und doch weiß ich, sollte was passieren, ist hier jeder für jeden da.

Ich komme viel einfacher zu mir. Ich spüre meine Füße, den Boden. Ich fühle. Mich. Die Natur. Die Geschmäcker werden wieder intensiver. Und immer wieder der Duft der Blumen und Gräser. Ein Stück Kindheit kommt zurück.

Tagsüber einfach mal auf eine Wiese legen, weil sie mich dazu einlädt. Kein Müssen, kein Sollen. Einfach nur Wollen und Machen.

Geht das zu Hause auch?

Warum eigentlich nicht?

Meine innere Stimme spricht.

Mit mir.

So süß, so klar, so deutlich.

Immer wieder fange ich während dem Gehen an zu weinen. Einfach so, weil es so schön ist.

Ich atme die Schönheit ein und sie berührt mein Herz.

Kein Gedanke, der irgend etwas beschreibt. Einfach nur das Gefühl von Dankbarkeit. Als ob es gar nichts anderes gäbe auf dieser Welt, als Dankbarkeit. Bewusstsein über das Sein.

Ich bin.

Dankbar.

Halte ich das aus? Was passiert da mit mir?

Egal. Einatmen.

Tränen der Dankbarkeit.

Einatmen, ausatmen.

Fühlen.

Ja, das ist es.

Das ist es!

Ich bin angekommen.

Bei mir.

Danke, lieber Weg.

Danke, lieber Camino.

Danke, liebes Leben.

Danke, danke, danke.

Nein, noch nicht weiterlesen.

Lass die Zeilen wirken. Bitte.

Atme.

Dankbarkeit.

Gönn dir eine Pause.

Du musst nirgendwo hin.

Gönn dir jetzt eine Pause, mein Freund.

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Es gibt nur einen Weg, um zu dir zu finden: Deinen.

Falls du auch einmal auf dem Camino pilgern möchtest, stelle ich dir hier gerne meine Infos und Packliste zur Verfügung, die ich sonst meinen Teilnehmern aus dem Seminar geschickt habe.

Der Camino und Du – Allgemeine Infos und Packliste (Marius Schäfer)

Ich wünsche dir einen wundervollen Weg.

Buen Camino!

Marius Schäfer

Marius Schäfer

Persönlichkeits-Coach

Durch meine eigene Lebenskrise habe ich begonnen, mich damit auseinanderzusetzen, wie ich positive Veränderung in meinem Leben hervorrufen kann. Meine Erfahrungen teile ich hier mit dir.

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